Wieso ich in Stockholm sterben könnte #1 | Salbeitee

Salbeitee

Ich könnte in Stockholm sterben. Rein theoretisch. Was Salbeitee damit zu tun hat? Eine ganze Menge. Aber fangen wir ganz von vorne an.

Nach einer wunderschönen Woche im warmen Deutschland, wo die Sonne erst um halb sechs untergeht und frühlingshafte 12° Celsius herrschen, bin ich wieder zurück im finsteren, kalten Stockholm. Und es bahnt sich etwas an: Halsweh. Meine Mandeln sind geschwollen und das Schlucken schmerzt, wie Sokrates’ Schierlingsbecher geschmerzt haben muss.

Nun ist es zum Glück so, dass es an der Uni Stockholm “Nurses” gibt. Das sind Krankenschwestern, die zu gar nichts gut sind, außer, dich an einen Arzt weiterzuleiten. Aber diese Erkenntnis, meine lieben Freunde, kommt mir erst viel später. Nein, erst einmal spaziere ich unter Schmerzen im Rachenbereich in eisiger Kälte und Dunkelheit über den viel zu großen Campus bis zum Student Health Service, wo mich eine eifrige, freundliche Krankenschwester schon erwartet.

Lauthals lamentierend schildere ich meine Qual und erkenne an ihrem gütigen, mitleidigen Blick, dass es sich um etwas sehr Ernstes handeln muss. Ein paar Sekunden später erkenne ich allerdings, dass sie keine Ahnung hat, worum genau es sich handelt. Sie wirft gewissenhaft einen Blick in meinen Hals, drückt mit einer Holzspatel meine Zunge hinunter und inspiziert meine, seit Kindheit an, sehr großen Mandeln.

Traurig nickend lehnt sie sich zurück und gibt dann zu, mir nicht helfen zu können. Nach einer Schrecksekunde, in der ich annehme, dass bereits alles zu spät ist, und ich nur mehr so dahinvegetieren kann, bis mich ein viel zu frühes Ende ereilt, verstehe ich, dass die “Nurse” einfach nur keine Ahnung hat, was mir fehlt.

Anstatt mir wenigstens gute Tipps für den schmerzenden Hals zu geben, streicht sie sich durch die kurzen, roten Haare und tippt eifrig am Computer eine Adresse ein, die ich mit dem Handy abfotografieren soll: Eine Klinik in der Stadt. Ich kann dort zwischen 8:15h und 9:45h vorbeikommen und mich anschauen lassen. Anderenfalls kann ich auch telefonisch einen Termin ausmachen, aber zu diesem Dilemma kommen wir ein andermal.

Als ich beim Abschied vor mich hinmurmelnd von Salbeitee spreche, den ich mir für meinen Hals kaufen möchte, lese ich nicht viel aus dem etwas verwirrten Blick der Schwester heraus.

Was für ein Fehler! Mit diesem Blick war das Unheil, das mich in den nächsten Stunden ereilen würde, schon vorausgesagt worden! Nichtsahnend verabschiede ich mich und fülle noch einen Fragebogen aus, in dem ich beantworten soll, wie mir das giftgrüne Wartezimmer gefallen hat. Statt einer Antwort, streiche ich die Frage durch und schreibe eine Beleidigung auf deutsch hin, die hier sowieso niemand entziffern können wird.

Wohlgemut wie Richard Lugner am Opernball, mache ich mich auf den Weg in ein nahegelegenes Einkaufszentrum, in dem sich ein Geschäft finden lassen sollte, das Salbeitee anbietet. Doch, weit gefehlt. Nach einigem Umherirren in den langen Korridoren finde ich ein lustiges Geschäft namens “life”, das nichts weiter als Nahrungsergänzungsmittel anbietet.

Kurz denke ich an meinen vollen Badezimmerschrank, in dem von Vitamin C bis Folsäure und Kieselerde alles steht, was ein Mann in seiner Midlife Crisis zum Überleben braucht. Der Mann in seiner Midlife Crisis- das bin ich! Nickend betrete ich das Geschäft. Es gibt sogar Tees, in allen möglichen Variationen, nur kein Salbei. Schwer enttäuscht verlasse ich das Etablissement, das sich so hochtrabend “life” nennt, und gehe weiter zu einer Apotheke.

Ich fühle mich auf meiner Suche nach Salbeitee wie Sherlock Holmes.

Wir schließen jetzt!

Meine Rettung, denke ich, als ich das rote Kreuz entdecke. Bei mir in Österreich gibt es in jeder Apotheke rein natürliche Kräutertees für jedwede Beschwerde, das muss überall auf der Welt so sein. Nachdem ich auf den ersten Blick allerdings keine Tees entdecke, kommen mir erste Zweifel, ob es so eine gute Idee gewesen war, nach Stockholm zu kommen. I man, wo samma denn?

Nun, gut. Ich räuspere meinen zerstörten Hals und versuche mit letzter Kraft, meinen Stimmlippen ein paar Sätze zu entlocken: “Hello, have you got sage tea?” Verwirrte und genervte Blicke treffen mein kraftloses Gesicht. “What is sage?” Vorbereitet, wie ich bin, habe ich Salbei bereits in mein Offline-Wörterbuch eingetippt und zeige ihr den Eintrag. “Salvia”. Ihre Blicke werden skeptisch. Bin ich etwa ein Verrückter, aus einer Irrenanstalt geflohen? Oder einfach ein wilder Ausländischer, der Kräuterrituale zelebriert? Gibt es im Ausland noch keine synthetischen Heilmittel?

Jedenfalls schüttelt sie missbilligend den Kopf und gibt mir zu verstehen, dass es so etwas hier nicht gibt. Enttäuscht von ganz Schweden, schaue ich mich noch kurz alleine um, als plötzlich ein Riesengitter vor dem Eingang hinuntersaust.

“Scheiße, sie haben mich”, denke ich im ersten Moment panisch. Durch einen Blick auf die Uhr stellt sich jedoch heraus, dass es 18 Uhr ist, und das Einkaufszentrum scheinbar schließt. Das ist schlimmer, als in Österreich, denke ich verärgert und muss mich unter den missbilligenden Blicken der Apotheker unter dem Gitter durchbeugen.

Nicht mal im Supermarkt Salbeitee

Ich mache mich auf den Weg zur U-Bahn und will gerade zurückfahren, da entdecke ich einen größeren Supermarkt. Vor Schwäche taumelnd, torkele ich durch die Regalreihen- und finde keinen Salbeitee. Mehr als verärgert zähle ich lauthals die verrücktesten Tees auf, um deutlich zu machen, wie irrsinnig es ist, bei alledem keinen Salbeitee anzubieten. Die umstehenden Kunden ziehen sich ängstlich zurück. Green Earl, Erdnussbutter-Kamille, Hagebutte-Ingwer, Limette-Apfel … Wütend stapfe ich aus dem Supermarkt.

Ich fahre nach Hause und bin vom schwedischen Gesundheitssystem, wie auch vom Tee-Angebot sehr enttäuscht. Zum Abendesse koche ich mit getrocknetem Salbei und bilde mir ein, dass mein Hals dadurch besser wird. Im Bett liege ich noch lange wach und träume von dem duftenden Kraut. Hoffentlich überlebe ich den nächsten Tag ohne Salbei.