Offener Brief an das Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung (12.12.2020), von Vinzenz Thun

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Offener Brief an das Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung (12.12.2020), von Vinzenz Thun

Die geplante Universitätsgesetz-Novelle in Österreich lässt nicht nur mich fragend auf die Zukunft unserer Bildung blicken. Anstatt endlich wieder auf größere Freiheit zu setzen und dem Wissensdurst, sowie gleichzeitig der Lebensrealität der unzähligen Studierenden gerecht zu werden, wird uns alle diese Novelle nur weiter erheblich einschränken und den politischen Einfluss auf unsere Universitäten stärken.

Mein guter Freund Vinzenz Thun (Student der Germanistik und Vergleichenden Literaturwissenschaft) hat einen offenen Brief an unseren Minister Faßmann verfasst, den ich hier veröffentlichen darf und dessen Aussagen ich vollumfänglich unterstütze.

 


Geschätzter Bundesminister Dr. Heinz Faßmann!

 

 

Die letzten Monate seit Ausbruch der Pandemie waren für uns Studierende nicht einfach. Während der Studienalltag sich alleine schon äußerst stressvoll gestaltete (monatelange chaotische Umstellung auf „Online-Lehre“, viele Stunden täglich vor dem PC, ohne sich daneben angemessen physisch oder sozial ausgleichen zu können, bedrückende und beängstigende Nachrichten, die täglich auf uns einprasselten), sind diejenigen unter uns, die zudem beruflichen Verpflichtungen nachgehen müssen, Betreuungspflichten zu erfüllen haben oder körperlich bzw. seelisch beeinträchtigt sind, immens unter Druck geraten. Während ich selbst das Glück hatte, die neuartige Situation einigermaßen gut ertragen zu können, sicherlich durch die stete Unterstützung meiner Familie, habe ich bei auffällig vielen bekannten sowie befreundeten Personen stressbedingt krisenartige Zustände beobachten müssen, die mir sehr zu denken gegeben haben.

 

Ich schreibe Ihnen, da es mir ein großes Anliegen ist, Teile der geplanten Universitätsgesetz-Novelle aus mehreren Gründen abzuwenden, da sie sich langfristig gesehen äußerst negativ auswirken werden; nicht nur auf individueller Ebene werden sie psychische Konsequenzen nach sich ziehen, sondern auch gesamtgesellschaftlich einer ungesunden Leistungskultur zuträglich sein. Die schleichenden Veränderungen im Studienwesen werden von wenigen Wachsamen tatsächlich bewusst wahrgenommen werden, weshalb ich es als umso wichtiger erachte, nun darauf aufmerksam zu machen. Ich nehme in meinen Ausführungen vor allem auf die für uns Studierende relevanten Aspekte der Novelle Bezug und versuche, Ihnen meine Sicht möglichst nachvollziehbar darzulegen.

 

Allem voran lassen die geplanten Änderungen den Versuch einer Ökonomisierung von Bildung durchblicken, wobei diesem wertvollen menschlichen Gut, ja vielleicht sogar einem der Faktoren, die das Menschsein an sich konstituieren, nicht mehr der Wert zugewiesen wird, den es verdient. Denn mit keiner Methode kann sie gemessen oder gezählt werden – dies können höchstens standardisierte Prüfungsleistungen, in denen mechanisch Wissensausschnitte abgeprüft werden. Schon durch den Bologna-Prozess vor einigen Jahren deutete sich eine solche Positionierung von Bildung an, in Realität wirken sich die Maßnahmen – dies kann ich Ihnen aus eigener Erfahrung leider nur bestätigen – als sinnbefreite „ECTS-Jagd“ aus, innerhalb derer sich Studierende nur mehr die „einfachsten“ Prüfungen heraussuchen, um möglichst schnell abschließen zu können. Der Konkurrenzdruck wird erhöht („Was? Du hast dieses Semester nur 25 ECTS geschafft?“) und zunehmend verbreitet sich die fälschliche Vorstellung, Wissen als Gut abbilden oder sogar zählen zu können. Dies ist aus meiner Sicht mindestens genauso falsch wie die Annahme, dass die Intelligenz eines Schulkindes an den Noten ablesbar sei.

 

Das wertvolle Gut „Bildung“ lässt sich vielleicht am ehesten als scheues Wildtier metaphorisieren, das umso weiter weglaufen möchte, je mehr der Mensch es einsperren und als gezähmtes Haustier halten möchte. Doch am Ende des Tages bleibt nur genau diesem Wissen sowie den langsam erworbenen Kompetenzen wie Reflexions- und Verknüpfungsfähigkeit oder dem kritischem Denken die Bestimmung, aus den investierten Jahren Kapital schlagen zu können, um im beruflichen Leben aber auch im Privaten (!) erfolgreich zu sein und Herausforderungen kreativ zu meistern. Leider wird mit der geplanten Novelle eine Idee angetrieben, die eher aus dem Menschen Kapital schlagen und diesen auf eine kalkulierbare Einheit reduzieren möchte. So sehr ich den Wunsch nach einer besseren Planbarkeit vonseiten der organisatorisch Verantwortlichen nachvollziehen kann, so klar erscheint mir aber im Gegensatz auch das würdevolle, freie Menschenbild, auf das wir hier in Europa doch eigentlich so stolz sind. In diesem Bild dürfen Menschen die gleichen Chancen auf Bildung genießen, ungeachtet der sozioökonomischen Umstände, aus denen sie kommen. Die zunehmende Prekarisierung ist zum neuen alten Feind geworden.

Für mich ist klar, dass eine Waagschale eindeutig schwerer wiegt, sobald man von verhältnismäßig kleinen Problemen abstrahiert und das Ganze in den Blick nimmt. Auf der einen Schale befinden sich organisatorischer und finanzieller Aufwand, auf der anderen – sehen Sie, die Schale kippt auf diese Seite – die Möglichkeit mündige, freie Studierende mit Weitblick hervorzubringen und jedem Menschen in diesem Land zumindest die theoretische Chance (andere Umstände erschweren den Zugang ja zusätzlich) auf Bildung zu schenken.

 

In meinem Umfeld beobachte ich häufig Personen, die auf ihren Studienabschluss in Mindestzeit stolz sind. Dass in dieser kurzen Studienzeit von meist drei Jahren eine ausreichende Auseinandersetzung mit den vielfältigen Inhalten stattgefunden hat, wage ich zu bezweifeln. Umfassende Bildung, für die frau/man sich als interessierte/r Studierende/r Zeit nehmen möchte, hat schlicht und einfach keinen Platz mehr in einem beschränkten, vorgegebenen Zeitplan.

Ich bin genau einer dieser Studierenden, die sich gerne aus reinem Interesse in extracurriculare Lehrveranstaltungen setzen, ohne damit eine Leistungsanrechnung anzustreben. Auch in mein Zweitstudium Komparatistik (mein Hauptstudium ist Germanistik), das, nebenbei bemerkt, häufig belächelt und als brotloses „Orchideenstudium“ bezeichnet wird, was wiederum eindeutig ein trauriges Zeichen unserer leistungsorientierten Zeit ist, bin ich nur aus Interesse inskribiert, oder – wie dieser Zustand polemisch bezeichnet werden könnte – Karteileiche, da ich kaum Prüfungsleistungen erbringe. Aus diesem Studium würde ich, angenommen mich beträfe die Regelung noch, nach den aktuellen Plänen der Regierung, irgendwann exmatrikuliert werden und somit an vielen Veranstaltungen, die mir großen Spaß bereiten und mich geistig bereichert haben, nicht mehr teilhaben können. Können Sie nachvollziehen, dass ich deshalb die UG-Novelle als bildungsfeindlich erachte? Besonders in meinen beiden Studiengängen ist Zeit essenziell, um die abertausenden Texte, denen ich begegne, überhaupt einmal zu lesen, im Weiteren dann verstehen zu lernen und ihre Inhalte irgendwann auch in eine Relation setzen zu können. Glauben Sie mir, das betrifft bestimmt nicht nur geisteswissenschaftliche Studienrichtungen, sondern die meisten anderen auch.

Planbarkeit hin oder her: Warum sollte ich ein Studium nicht nur aus Interesse oder um der Bildung selbst willen führen dürfen? Mir scheint, als würde dieser Wunsch geradezu als exotisch abgetan. Dabei erkenne ich leider auch wieder, welchen Stellenwert wir Bildung in unserer Gesellschaft geben, sie verkommt zu einem reinen Mittel zum Zweck und ist kein erstrebenswerter Zweck an sich mehr.

 

Ein Argument, mit dem ich in letzter Zeit häufig konfrontiert war, lautet: „24 ECTS-Punkte in zwei Jahren sind doch für jede/n leicht machbar.“ Wie Sie mittlerweile vielleicht sehen können, geht es aber gar nicht um die Schaffbarkeit dieser Vorgabe, sondern um ein viel tiefer liegendes Problem. Die Grundhaltung, die mit dem Leistungswahn liebäugelt, ist eher das, was mich besorgt; die Haltung, die Interesse und Leidenschaft, Neugier und Begeisterungsfähigkeit, alle davon wesentliche Antriebe in der Forschung, verschmäht, ist das Übel. Quantität über Qualität, leidenschaftslose Pflichterfüllung statt frei gedeihender Gelehrtheit erheben sich zu den sublimen neuen Mantras.

Im Zentrum soll anscheinend an der Universität zukünftig Aus-bildung stehen, da aus Sicht des Ministeriums nicht mehr Interesse sowie ein ganzheitlicher Bildungsansatz, sondern „abgezähltes, genormtes Wissen“ in Form von ECTS-Punkten (schade, dass noch keine ECTS-Pillen entworfen wurden, die ich mir einwerfen kann!) in den Vordergrund treten. Mit dieser Vorstellung begeben wir uns auf fatales Glatteis, denn Ausbildung ist nur eine (zweckgerichtete) Facette des Bildungsbegriffs, der doch viel umfassender ist. Jene nüchterne Perspektive auf Bildung ist einer Universität, der realisierten Allegorie aller Bildung, absolut unwürdig und ich verspüre ein Schamgefühl allen großen Persönlichkeiten gegenüber, die Bildungsinstitutionen über die Jahrhunderte gegründet, ausgebaut und erhalten haben. Das in der Antike noch angestrebte Ideal der Allgemeinbildung und die Bedeutung der Konzeption von Bildung als Wissenszusammenhang scheinen heute nicht mehr zu sein als der Hauch einer Ahnung.

 

Herr Dr. Faßmann, ich möchte an dieser Stelle betonen, dass mein Brief aus der Perspektive eines durchaus privilegierten Studenten stammt. Dennoch bin selbst ich in meiner Position höchst alarmiert über die bevorstehende Novelle, besonders in Anbetracht der Pandemie und weiß aus meinem sozialen Umfeld, wie es anderen, sozial marginalisierten Menschen(gruppen) geht, wie Personen mit physischen oder psychischen Beeinträchtigungen dem zunehmenden Druck standhalten müssen. Viele Studierende ertragen dieses Gewicht zum jetzigen Zeitpunkt schon nicht mehr, bitte versuchen Sie diese Bedenken ernst zu nehmen! Neben den klassischen „Vollzeitstudierenden“ existieren so immens viele verschiedene Lebensrealitäten, die mit der Novelle geradezu ignoriert und gleichgemacht werden und ich somit bedauerlicherweise soziale Ungleichheiten weiterhin gefördert sehe.

 

 

Mit einem traurigen Ausblick verbleibend,

 

Vinzenz Thun