Lieber Mr. Salinger – Buchkritik

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Lieber Mr. Salinger – Buchkritik

Infos zum Buch:

Lieber Mr. Salinger (Link zum Buch auf die Verlagsseite)

Verlag: Knaus

Erschienen: 23. Februar 2015

Seiten: ca. 304

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Joanna Rakoff passiert Mitte der 90er, wovon tausende von fertig Studierten wie ihr nur zu träumen wagen; sie wird in einer der ältesten und renommiertesten Agenturen New Yorks eingestellt. Elektronische Geräte wie Kopierer, Fax oder Computer gibt es schon, die Agentur versperrt sich aber gegen die Modernisierung; Joannas erste Aufgabe ist es, hunderte Briefe für ihre Chefin abzutippen. Aufgenommen auf einem Diktiergerät, zu tippen auf Schreibmaschine.

Immer wieder fallen Namen in der Agentur, die sie nicht zuzuordnen weiß. Wer ist Jerry, um den alle so ein Aufheben machen? Nun, der Titel verrät es bereits und die Protagonistin erfährt es spätestens, als ihr die Aufgabe übertragen wird, zahllose Fanbriefe anzunehmen und zu beantworten: Jerome David Salinger

Die Agentur vertritt J.D. Salinger! Einen der vermutlich meistgelesenen und meistrezensieren Autoren der amerikanischen Literaturgeschichte. Der Fänger im Roggen, Franny und Zooey, Neun Erzählungen… Romane und Geschichten, die ihrem Autor zu Weltruhm verholfen haben. Und Joanna hat keine einzige davon gelesen. Was gar nicht weiter schlimm ist. Man will gar nicht, dass Joanna sich mit ihm weiter auseinandersetzt.

Salinger lebt zurückgezogen und will keine Fanpost mehr durchgestellt bekommen. Immer tiefer dringt der Autor über ihre Arbeit in der Agentur in Joannas Leben ein, bis zu dem Punkt, an dem sie endlich auch zu seinen Büchern greift- und begeistert ist!

Privat hat Joanna Rakoff einiges zu bewältigen. Noch immer vermisst sie ihren College-Freund, den sie verlassen hat. Mit ihrem aktuellen Freund, Don, lebt sie in New York. Leider bleiben ihre Gefühle den gesamten Text durch etwas undurchsichtig. Die Leserinnen und Leser müssen erraten, ob sie Don eigentlich wirklich liebt, warum sie mit ihm zusammen ist und ob das noch lange so weiter geht. Ganz allgemein scheinen die Figuren blass und farblos.

Die Arbeit in der Agentur wird langsam moderner, es werden ein Faxgerät, ein Kopierer und sogar ein Computer angeschafft. Joanna vermittelt bald ihre erste Kurzgeschichte an ein kleines Literaturmagazin und ihre Chefin ist mehr als zufrieden. Doch Joanna hat anderes vor und kündigt nach einem knappen Jahr, wie es eigentlich von Beginn an die Idee war.

Interessant ist das Buch, weil es genauere Einblicke in die Geschichte Salingers erlaubt. Der „Fall Hapworth“? Joanna Rakoff war hautnah dabei.

Für jemanden, der Salinger noch nicht gelesen hat, ist dieses Buch vermutlich weniger bemerkenswert, aber Rakoffs Stil liest sich in der Übersetzung von Sabine Schwenk sehr angenehm. Hat das fast autobiographische Werk (nicht zwingend chronologisch geordnete Ereignisse) doch eigentlich die Fasson eines Romans, merkt man erst zum Schluss, dass es… nun ja, irgendwie keiner war. Es gibt kein überraschendes, zufriedenstellendes Ende: Joanna Rakoff lebt heute in Cambridge, hat geheiratet und die Agentur aus schleierhaften Gründen verlassen.

“Aber es gibt Dinge – wenn ich sie jetzt nicht tue, werde ich sie nie tun.“

Leider verrät das Buch nicht mehr, was für Dinge Joanna vorhat und was weiter geschieht. Es geht ja auch nur um ihre Zeit mit Salinger. Trotzdem fehlt etwas.

Ein Blick in ihre Biographie zeigt, dass Frau Rakoff Kritikerin für die New York Times, die Los Angeles Times und die Vogue war. Sie hat bereits einen Roman, A Fortunate Age, geschrieben. Wäre eine Fortsetzung ihrer Biographie als Roman denkbar?

Trotz aller Kritik: ein interessantes Buch für alle Salinger-Fans und Literaturbegeisterten! Allein der Fakt, dass die Geschichte, der das Buch zugrunde liegt, wahr ist, macht es zu einer lohnenswerten Lektüre. Der Wahrheitsgehalt des Inhalts überwiegt hier die Schwäche der Erzählung.

– Laurel Koeniger